vendredi 6 août 2010

„Israel-Kritik“ und Antiokzidentalismus ohne pseudo-linke Allüren


Rezension – Ernst Nolte: Die dritte radikale Widerstandsbewegung: der Islamismus. Landt Verlag, Berlin 2009, 414 S., € 39,90

Israel wird – ungeachtet des Wunsches bestimmter Repräsentanten der offiziösen deutschen ‚Israel-Solidarität’, der jüdische Staat möge sich politisch-kulturell in die Region, deren Teil er sei, integrieren, mithin seinen westlichen Charakter aufgeben – auch im „Westen“ nach wie vor als nationalstaatliche Konkretion der kulturellen Moderne in einer dieser vermeintlich unzugänglichen Region gehandelt und als solche zur Disposition gestellt. Dies dokumentiert auf seine Weise auch das jüngste Werk des Historikers Ernst Nolte.

Gegenstand des Bandes ist der „Islamismus“ als die – nach dem Bolschewismus Lenins und dem „Radikalfaschismus“ Hitlers – „dritte radikale Widerstandsbewegung“ gegen eine welthistorische Tendenz, die Nolte mit den Begriffen der „Moderne“ und der „Modernität“ nur unzureichend erfaßt sieht. Als den „‚gemeinsame[n] Feind’“ dieser – in Noltes Lesart im Kern konservativ-revolutionären – „Widerstandsbewegungen“ macht der Autor jene „Tendenz zum ‚immer mehr – immer schneller – immer perfekter’“ aus, „die sich schon wegen der Großartigkeit der Verhältnisse und Ressourcen am besten in Amerika entfaltet hat, jedoch nicht auf Amerika beschränkt ist“. In diesem Kontext stellt Nolte die Frage, ob in der so beschriebenen „Moderne“ nicht „ein ganz trivialer Impuls“ wirksam sei, den Bismarck mißbilligend den „Willen zum Besserleben der Massen“ genannt habe. Selbst die „Systeme“ des (leninistischen) Kommunismus und des Nationalsozialismus hätten sich freilich den – progressistischen und ihrer Tendenz nach ‚hedonistischen’ – Maximen des Systems der „pluralistischen Demokratie des Westens“ nicht grundsätzlich verweigern können: „[…] auch wenn sie Opferbereitschaft und Selbstverleugnung von den Lebenden verlangten und oft erhielten, galt doch als Zweck nicht zuletzt die bessere Zukunft der noch Ungeborenen“. Als ein markantes Beispiel für die radikale Negation des ‚westlichen’ oder ‚modernen’ Postulats individueller Selbstentfaltung als eines Selbstzwecks im Kontext der „Verteidigungsaggressivität“ einer islamistischen Bewegung führt Nolte einen Vorgang in der „Islamischen Republik Iran“ an: „Bald nach dem Tode Chomeinis besuchte eine Gruppe von Kriegsveteranen dessen Grab und flehte ‚weinend um Vergebung, dass sie nicht gefallen waren’.“

Den „Feind“ der „drei Widerstandsbewegungen“, der sich nicht in „Amerika“, „dem Judentum“ oder „dem Kapitalismus“ fassen lasse, verortet Nolte schließlich (in seiner „Schlußbetrachtung“) als „ein ‚Etwas’ im Kapitalismus, das von nichtjüdischen und jüdischen Denkern bedacht und lange Zeit gerühmt wurde: das innerste Vermögen, oder besser: das eigentliche Schicksal des Menschen, ‚über sich selbst’, d. h. seinen gegenwärtigen Zustand und seine gegenwärtige Umgebung hinauszudenken und schließlich hinauszuhandeln: die Transzendenz – die Notwendigkeit, sich zu der Welt im Ganzen in eine emotionale Beziehung zu setzen und sie in Teilen zu erkennen, aus der schließlich die Möglichkeit hervorgeht, sich durch Konstruktionen, durch Teilungen und Neuzusammensetzungen von seienden Dingen der Erde und des nahen Weltraums zu bemächtigen. […]“

In vollem Einklang mit der (von Tilman Tarach vornehmlich unter israelpolitischem Aspekt thematisierten) „Blut- und Boden-‚Linken’“ – insbesondere in deren ökologistischer Varianz – problematisiert Nolte jenen ‚Fortschrittsenthusiasmus’, der „in seiner trivialsten Erscheinungsform auf die Formel ‚immer weiter, immer höher, immer perfekter’ gebracht werden“ könne. Tatsächlich gibt diese Formel einer ‚Säkularität’ Ausdruck, die sich diametral verhält zu jener ‚Kosmologie’ der Ökologisten, die sich nach dem 11. September 2001 in einer Bemerkung wie dieser niederschlug: „Selber schuld. Warum bauen die auch so hoch?“ Weit davon entfernt, sich auf die Ebene der Berliner Kultursenatorin Adrienne Göhler zu begeben, der der terroristische Anschlag auf das WTC offenbar wie eine Revanche für den Hochmut des Westens erschien, die Ordnung der Felder transzendiert zu haben, verhehlt Nolte nicht, es sei für ihn selbst „mehr und mehr zu einer bedrängenden Frage geworden“, ob er Abschied von der negativen Beurteilung des „Widerstandes gegen die Transzendenz“ genommen habe, als die er in früheren Werken den Faschismus (in seinen unterschiedlichen Ausprägungen) beschrieben hatte, und „vielleicht zum Verteidiger oder mindestens zum Sympathisanten eines solchen Widerstandes geworden“ sei. Als eine Folge des 11. September 2001 sieht Nolte ein Dahinschwinden des Exzeptionalismus der USA als eines großen Staates, dessen Bevölkerung von „‚Bedrohungsgefühlen’“ frei gewesen sei, und, damit verbunden, „ein stärkeres Verständnis für jene Staaten und Völker des 20. Jahrhunderts […], die gute Gründe hatten, sich bedroht zu fühlen“. Soweit Nolte „dem Islamismus“ die Rolle einer weltpolitischen Gegenbewegung zur Globalisierung unter den Bedingungen einer von „Amerika“ geprägten Modernität resp. ‚Verwestlichung’ zuspricht, läuft diese Perspektive freilich auf nichts anderes hinaus, als auf ein globales Appeasement gegenüber Gotteskriegern.

Deren theokratischen Universalismus und mit diesem verbundene Herrschaftsansprüche verkennt der Autor keineswegs. So stellt er die politisch-theologische Konzeption Sayyid Qutbs, eines führenden Theoretikers der Muslimbruderschaft, vor, der den Islam als „die universalistische und anarchistische Lehre von dem ‚Reiche Gottes’“ postuliert, „das in der Gegenwart nur in der Gestalt des islamischen Friedensreiches existiert, welches sich in einem ständigen, hin und wieder von Rückschlägen unterbrochenen, aber im Ganzen siegreich fortschreitenden Krieg (dschihad) gegen die nichtislamische, die ‚ungläubige’ Welt befindet (dar al-harb)“. Den „Islamismus“, wie ihn Qutb, Khomeini oder Bin Ladin repräsentieren, von einem „authentischen“ Islam abzugrenzen, liegt Nolte eher fern. Gleichwohl versteigt er sich – ungeachtet der von ihm erwähnten antijüdischen Religionsverfolgung des Religionsstifters Mohammed, der die Juden von Quraizah ermorden ließ – zu der Behauptung, radikale Islamisten setzten sich „schließlich sogar über Gebote“ hinweg, „die im klassischen Islam unbestritten waren wie diejenigen der Schonung des Lebens Unschuldiger und Wehrloser im Krieg“.

War Nolte in der Phase des deutschen „Historikerstreits“ (1986/87) mit seinen Postulaten eines „kausalen Nexus“ zwischen dem Bolschewismus und dem „radikalfaschistischen“ Hitlerschen Nationalsozialismus und des Vorbildcharakters der mit dem Gulag verbundenen Schreckensherrschaft für den Judenmord des „Dritten Reichs“ – als Pervertierung einer antikommunistischen ‚Verteidigungsaggressivität’ – auf scharfen Widerspruch der Mehrheit seiner Historiker-Kollegen sowie Jürgen Habermas’ gestoßen, könnten seine – strukturell durchaus ähnlichen – gegenwärtigen israelpolitischen Betrachtungen das Programm jedes rot-grünen „Palästina-Komitees“ unserer Republik bereichern: „… auch für alle Nichtjuden musste es bewegend sein, dass die leidenschaftlichen Vorwürfe, die keineswegs bloß von Islamisten gegen ‚die Zionisten’ und häufig ebenfalls gegen ‚die Juden’ gerichtet wurden, eine auffallende Ähnlichkeit mit den Anklagen gegen die nationalsozialistischen Massenmörder hatten, wobei freilich die fragwürdige These unterschwellig leitend war, dass die Vertreibung von Hunderttausenden, die damit einhergehenden Tötungen und die Verdammung von Millionen zu einer elenden Existenz in armseligen Massenlagern [sic] sich nicht grundsätzlich von den Massenmorden mit modernen technischen Mitteln unterschied. Aber wenn voreilige Gleichsetzungen zurückzuweisen waren, so ließ sich doch keinesfalls bezweifeln, dass dieser ‚Antisemitismus’ von vielen Millionen Semiten einen nur allzu begreiflichen ‚rationalen Kern’ hatte.“ Nolte, der die antisemitische „Feindbestimmung des Nationalsozialismus“ mit Blick auf deren Konsequenz: die „Ermordung von Millionen unschuldiger Menschen unter Einschluss von zahllosen Frauen und Kindern“, als „völlig verwerflich“ kennzeichnet , betrachtet es allen Ernstes als unzulässig, Amin el-Husseini „die Ehre“ zu verweigern . Zwar hätten sich der Großmufti von Jerusalem und Hitler „auch ideologisch miteinander verbunden [gefühlt], nämlich in ihrer Judenfeindschaft, die allerdings bei Husseini als ‚Realantisemitismus’ bezeichnet werden sollte und bei Hitler als ‚Deutungsantisemitismus’, der alle feindlichen Phänomene in ‚dem Juden’ verkörpert sieht und sehen will“ . Warum dem „Realantisemiten“ Husseini die Verbreitung des Prototypus eines („säkular“-verschwörungstheoretisch begründeten) „Deutungsantisemitismus“, der „Protokolle der Weisen von Zion“, eine Herzensangelegenheit war, erläutert Nolte nicht. Auf der anderen Seite läßt er allerdings nicht gänzlich unerwähnt, daß der „Deutungsantisemit“ Hitler – „antizionistischer“ Legendenbildung zum Trotz – selbstverständlich auch Antizionist war: Wie „von allen [sic] Muslimen“, so sei „tendenziell auch von Hitler“ der Zionismus „als das Konzentrat und die Spitze ‚des Westens’ gesehen“ worden, „und zwar vor allem des ‚westlichen Unrechts’“.

Daß die mit der Staatsgründung der jüdischen Republik – resp. deren Vorbereitung – verbundene Herausforderung des traditionalistischen Islam keinesfalls als konstituierend für die antiwestliche Feindbestimmung „des Islamismus“ (der bereits 1928 in Gestalt der Muslimbruderschaft eine Institutionalisierung als ihrem Anspruch nach ‚globale’, keineswegs ausschließlich oder auch nur vorrangig auf eine Reislamisierung „Palästinas“ gerichtete Bewegung erfuhr) gelten kann – wie Noltes Ausführungen zum Zionismus suggerieren –, wird von Nolte selbst indirekt eingestanden, wenn er schreibt: „Schon der entstehende Islamismus musste eine Unterscheidung zwischen einem konkreten, sichtbaren Feind und einem allgemeinen Feind treffen. Der konkrete und sichtbare Feind war spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Zionismus als der räuberische Angriff auf ein Zentralland des Islam.“ Der Autor streicht in einer eher ideengeschichtlich angelegten Betrachtung des Zionismus (dessen verschiedenartige Ausprägungen er nicht grundsätzlich bestreitet) und dessen (jüdischer) Kritiker die „kolonialistischen“ und „völkischen“ Komponenten insbesondere des ‚Rechtszionismus’ in extenso heraus – ohne auf die Virulenz jener (von ihm so genannten) arabischen „Verteidigungsaggressivität“ einzugehen, die die Entscheidung eines im Palästina der Zwischenkriegs-Ära lebenden Juden für oder gegen den „radikalen“ Zionismus als eine Frage über (individuelles) Leben oder Tod erscheinen lassen mußte. Gleichwohl räumt er (in einer Fußnote) ein, Israel sei im Nahen Osten das einzige Gemeinwesen, das „die Freiheit der Meinungsäußerung und das Vorhandensein eines weiten Spektrums politischer und teilweise ‚staatsfeindlicher’ Doktrinen und Ideologien“ garantiere: „In keinem arabischen Staat gab es Derartiges, und es ist eine sehr einseitige Auffassung, wenn Israel nur in einem militärischen und machtmäßigen Sinne als Vorposten des Westens im Bereich der arabischen Staaten und der islamischen Welt insgesamt wahrgenommen wird.“

Bemerkenswerterweise wird die „Verteidigungsaggressivität“ des Regimes der Ajatollahs im Iran, der Nolte als die zur Staatlichkeit geronnene islamistische Bewegung gilt, nicht in systematischer Weise in ihren Auswirkungen auf die iranische Gesellschaft untersucht. Bezogen auf die Konsolidierungsphase der Gewaltherrschaft des Khomeinismus, stellt Nolte die Massenmorde an der oppositionellen Linken, etwa der Volksfedayin, als Reaktion auf marxistische Gewalttätigkeiten dar. Dem Schicksal der Bahai – einer im Iran immerhin Hunderttausende umfassenden Religionsgemeinschaft – in der islamischen „Republik“ ist ein einziger Satz gewidmet: „Die kleine Minderheit der Bahai wurde rücksichtslos verfolgt.“ Dabei hätte die Thematisierung „des Islamismus“ im allgemeinen und der iranischen (khomeinistischen) Revolution im besonderen gerade im Kontext des Nolteschen „Weltbürgerkriegs“-Konzepts geradezu nach einem historischen Vergleich der Methoden der Unterdrückung und Auslöschung geschrieen, die der Hitlersche „Radikalfaschismus“ auf der einen und der iranische Islamismus auf der anderen Seite nach innen gegenüber jenen praktizier(t)en, die sie – gleichsam als „Kombattanten“ ohne Kombattantenstatus – als „Agenten“ auswärtiger Mächte stigmatisierten und sämtlicher ihrer bürgerlichen Rechte beraubten. Wenn Nolte Israel als „Einsprengsel von Modernität“ in der ‚islamischen Welt’ problematisiert, so können auch die – infolge der islamischen Revolution (bis heute!) für vogelfrei erklärten – Bahai des Iran, da Befürworter einer säkularen, auf die Institutionalisierung von Menschenrechten gegründeten politischen Ordnung, als „Einsprengsel von Modernität“ inmitten einer islamistischen Diktatur betrachtet werden.


(Erstveröffentlichung in: HINTERGRUND. Zeitschrift für kritische Gesellschaftstheorie und Politik, II-2010)

1 commentaire:

Marti a dit…

Wer wissen will, wie der Islam funktioniert, wie aus einer Ideologie durch die Umsetzung seiner Regeln, anfangs von einer Minderheit, eine Islamisierungsdynamik entsteht, die dann Schritt für Schritt zu Islamisierung ganzer Gesellschaften führt, mit all den negativen Auswirkungen, die mittlerweile sattsam bekannt sind, sollte das Buch, "Das Dschihadsystem" des Sozialwissenschaftlers Manfred Kleine-Hartlage lesen.

Das Buch erhellt die Mechanismen, wie der Islam funktioniert, besser als jedes andere Buch!