lundi 16 juin 2008

Islamistischer Verbraucherschutz in Afghanistan


FAZ.NET, 14.6.2008:

"Kein Wunder, dass Afghanistans Mullahs keine indischen Fernsehserien mögen. Beim Abend- und Freitagsgebet bleiben viele Gläubige lieber zu Hause, wenn zur gleichen Zeit ihre Lieblingsserie läuft. Einige Imame haben deshalb sogar schon den Gottesdienst verschoben. Vor allem gegen die Sendung „Die Schwiegermutter war auch einmal eine Schwiegertochter“ haben die Geistlichen keine Chance. Sie erreicht nach Angaben des Senders Tolo in den Städten Einschaltquoten von neunzig Prozent.

Seit Monaten läuft der Oberste Rat der Geistlichen Sturm gegen die Serien. Auch viele Pädagogen haben mahnend den Zeigefinger erhoben. Daraufhin ließ Kulturminister Abdul Karim Khurram fünf der beliebtesten indischen Seifenopern verbieten. Sie seien unmoralisch, unislamisch und verstießen gegen das Mediengesetz, sagt der Minister. Zwei Fernsehstationen, Tolo und Afghan TV, haben sich der Anordnung widersetzt. Sie senden weiter. Gegen sie ermittelt nun die Generalstaatsanwaltschaft in Kabul.

Vordergründig geht es bei dem Streit um Kulturpolitik. Wie viel ausländischen Einfluss verträgt die afghanische Volksseele? Gefährden nackte Frauenbäuche und hinduistische Vielgötterei die Moral der Jugend? Doch wie immer, wenn in Afghanistan um den vermeintlichen Verfall der islamischen Sitten gestritten wird, geht es um Machtpolitik. Es geht um die Beziehungen zu den Nachbarstaaten Indien und Pakistan, um den wachsenden Einfluss radikal-islamischer Kräfte in der Regierung, und es geht um die Machtverteilung zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen im Land.

Der Kulturminister begründet das Verbot mit der Fürsorgepflicht des Staates gegenüber Kindern und Verbrauchern. „Die Serien, die wir verbieten wollen, haben in der Gesellschaft Probleme verursacht“, sagt Khurram. In einigen Familien hätten die Sendungen sogar zu Gewalt geführt, weil Kinder sich den Anordnungen ihrer Eltern widersetzten. „Selbst diejenigen, die die Serien gucken, fordern, dass sie verboten werden“, behauptet der Minister. „Es ist wie bei einer Droge. Die Leute wissen, dass sie schlecht ist, aber sie konsumieren sie trotzdem.“

Der Direktor des größten afghanischen Fernsehsenders Tolo, Jahed Mohseni, wirft der Regierung dagegen vor, mit dem Serienverbot politisch unliebsame Sender schwächen zu wollen. „Anstatt unsere Politik-Programme direkt anzugreifen, zielen sie auf unsere Finanzen. Damit versuchen sie, uns abzuschalten“, sagt Mohseni. Mit den Publikumsschlagern spielt Tolo einen Großteil seiner Werbeeinnahmen ein. Mohseni unterstellt der Regierung einen „Präventivschlag“ gegen kritische Medien. „Wir befürchten, dass es mit den Wahlen im kommenden Jahr zu tun haben könnte.“

Tolo hat viele Gegner. Das verraten schon die Barrikaden, die die Zufahrtsstraße zum Sender versperren, und der Wächter mit der Kalaschnikow im Anschlag. Wegen seiner kritischen Politmagazine wird der aus Australien zurückgekehrte Mohseni in Regierungskreisen bisweilen als „Feind Afghanistans“ bezeichnet. Wegen seiner kulturellen Tabubrüche steht er im Dauerclinch mit islamistischen Kreisen. Kritiker werfen dem mit amerikanischen Entwicklungsgeldern unterstützten Sender vor, Skandale zu provozieren, um Quote zu machen. Nach eigenen Angaben hält er einen Marktanteil von mehr als sechzig Prozent. Unter den rund ein Dutzend Konkurrenten sind auch mehrere im Besitz hochrangiger Regierungsmitglieder, die das Serienverbot sicher gern unterstützt haben.

Viele Beobachter sehen in dem Schritt aber vor allem ein Indiz für das wachsende Selbstbewusstsein islamistischer Kreise in der Regierung. Bis vor zwei Jahren wurde das Kulturministerium von einem liberalen Exilafghanen geleitet. Der heutige Minister ist ein ehemaliges Mitglied der islamistischen Partei des Mudschahedinführers Gulbuddin Hekmatyar, der noch immer gegen die Regierung kämpft. Ehemalige Mitglieder der Hisb-e Islami mit guten Verbindungen nach Pakistan haben sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen und sich Posten gesichert.

„Propakistanische Kreise in der Regierung haben sich für das Verbot der Serien stark gemacht“, sagt der liberale Parlamentarier Mir Ahmad Joenda, der zu den Vorkämpfern für Medienfreiheit gehört. „Pakistan hat Angst vor dem Einfluss indischer Kultur in Afghanistan.“ Eine der ersten Reaktionen auf das Verbot kam denn auch von der indischen Botschaft. Sie warnte den Erzfeind Pakistan davor, sich in die kulturellen Beziehungen ihres Landes einzumischen. Indische Popkultur ist nach dem Sturz der damals von Pakistan unterstützten Taliban zum Symbol einer neuen Freiheit geworden. Die Jugend kopiert die Moden der Hindi-Stars.

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