dimanche 8 juin 2008

Indonesien: Liberale Muslime gegen islamistische Sektenjäger


Wie die FAZ vom 5.6.2008 berichtet, stößt in Indonesien der von radikalen Islamisten ausgehende Terror gegen religiöse Minderheiten auf wachsenden Widerspruch seitens liberaler Muslime, die sich hierbei (der FAZ zufolge) auf die einem moderaten Islam zuneigende "oft schweigende Mehrheit Indonesiens" stützen können:

"Seit der konservative Muslimrat die Ahmadiyya aus der indonesischen 'Ummah' ausgeschlossen hat, versuchen die Fundamentalisten, die Sekte auch vom Staat verbieten zu lassen. Das aggressive Vorgehen der Islamisten empört nicht nur die anderen Religionsgemeinschaften, sondern auch die moderaten Muslime. Sie berufen sich auf die Staatsideologie - die Pancasila -, die keine Staatsreligion vorschreibt, sondern lediglich den Glauben an einen Gott.

Der Konflikt eskalierte, als am vergangenen Sonntag in Jakarta eine Kundgebung für religiöse Toleranz von Mitgliedern der 'Islamischen Verteidigungsfront' (FPI) angegriffen wurde. Die mit Bambusstöcken bewaffneten Islamisten prügelten auf die Teilnehmer ein und schlugen dabei Dutzende krankenhausreif. Die meist in Weiß gewandeten FPI-Mitglieder kämpfen schon seit langem für die 'Reinheit' des Glaubens. In den vergangenen Jahren haben sie Nachtclubs in Jakarta demoliert und unter anderem das Redaktionsgebäude des 'Playboy' angegriffen, ohne dass die Staatsmacht viel unternommen hätte. Aber mit ihrer Prügelorgie vor dem Nationalmonument in Jakarta scheint die FPI eine Grenze überschritten zu haben. Unter den Teilnehmern der Kundgebung befanden sich viele angesehene Muslimführer, unter ihnen der frühere Staatspräsident Abdurrahman Wahid, der auch Gus Dur genannt wird.

Seither gehen die moderaten Muslime - die oft schweigende Mehrheit Indonesiens - in die Offensive, 'Wir sollten diesen Leuten keinen Raum für ihre schädlichen Aktionen geben', sagte Jenny Wahid, die Tochter Gus Durs. Der Staat müsse endlich hart durchgreifen, fordert die gläubige Muslimin, die als Vorsitzende des Wahid-Instituts in Religionsfragen zu einer Autorität in Indonesien geworden ist. Der Anwalt Adnan Buyong Nasution, der Präsident Yudhoyono in Rechtsfragen berät, empfahl dem Justizminister, bei Gericht einen Verbotsantrag gegen die FPI einzureichen.

Nach langem Schweigen hat sich die Regierung nun eingeschaltet. Yudhoyono, der sich in heiklen Fragen wie der Religion gerne zurückhält, verurteilte den Angriff der FPI und kündigte Maßnahmen an. Sein Sicherheitsminister Widodo sagte: 'Wir sollten dieses Problem nicht nur als eine Gewaltaktion wahrnehmen, sondern als etwas, das die Kultur unseres Landes befleckt.' Am Mittwoch folgten erste Taten. Die Polizei drang in das Hauptquartier der FPI in Jakarta ein und nahm 57 Männer fest. Ein Anfang sei damit gemacht, heißt es in Jakarta, aber ein wirkliches Zeichen wäre erst gesetzt, wenn die Regierung den Fundamentalisten auch politisch den Kampf ansagte und die Ahmadiyya-Sekte zu einer legalen Religionsgemeinschaft erklärte."

Selbstverständlich genügt die erwähnte Pancasila-Doktrin in keiner Weise dem menschen- und bürgerrechtlichen Minimum eines freiheitlichen säkularen Rechtsstaates, der individuelle Freiheits- (wie politische Partizipations-)Rechte des Einzelnen unabhängig von irgendeinem (positiven) religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis garantiert. Allerdings treten gleichwohl in Indonesien moderate Angehörige des sunnitischen Mehrheitsislam, indem sie sich mit von islamistischer Gewaltanwendung heimgesuchten Ahmadis solidarisieren, für das Prinzip der religiösen Toleranz ein, das konsequent einzufordern in Deutschland (oder Frankreich) mittlerweile bestenfalls als altmodisch, wenn nicht als gemeingefährlich gilt:

"Zunächst vermutete Ursula Caberta bei ihren Auftritten in Konstanz und Singen, dass sie es mit Scientologen zu tun hatte. Die Argumentationsstruktur der Störenfriede sei identisch mit der der Scientologen. Nun kommen Zweifel auf: Der "Bund gegen Anpassung" mit Sitz in Freiburg hat gestern in Konstanz Flugblätter verteilt, die sich wie eine Art Bekennerschreiben lesen. Die Aktivisten nennen die Frau, die zu Beginn der Diskussion nach dem Vortrag aufgetreten ist, "unsere Vertreterin in Konstanz". Laut Vhs-Direktor Lothar Stetz, der die Vorträge in Singen und Konstanz gehört hat, sei die Frau nach vorne gestürmt und habe verkündet, sie wolle die Veranstaltung sprengen. "Die Stimmung im Raum war plötzlich unheimlich aggressiv", sagt Lothar Stetz. "Es hat nicht viel gefehlt, und wir hätten eine Prügelei gehabt." Deshalb hat er auch überlegt, die Polizei zu rufen: "Die Situation hätte leicht außer Kontrolle geraten können".

Auch die routinierte Scientology-Expertin Ursula Caberta bezeichnet die Störenden in Singen und Konstanz als aggressiv.* Caberta leitet seit 15 Jahren die Hamburger Arbeitsgruppe Scientology, berät Aussteiger und dokumentiert das Wirken der Organisation. In ihrem Vhs-Vortrag "Schwarzbuch Scientology" hatte sie erzählt, dass die Mitglieder der Organisation sich heute genauso verfolgt fühlen wie damals die Juden im Dritten Reich. Dass sie inhaltlich nicht viel zu sagen haben, sondern sich zur Aufgabe machen, jede Veranstaltung über Scientology zu stören oder noch besser: zu verhindern. Offenbar haben auch die Mitglieder des Bundes gegen Anpassung dieses Ziel. Dass die Polizei trotz allem doch nicht einschreiten musste, ist auch den Konstanzer Bürgern zu verdanken. Ein älterer Mann hat gleich am Anfang zu einer Störenden gesagt: "Zeigen Sie doch mal Ihren Scientology-Mitgliedsausweis", sagt Ursula Caberta. "Das fand ich sehr beeindruckend. Ich hatte sowieso das Gefühl, dass in Konstanz einige Zuhörer waren, die sich mit dem Thema beschäftigt hatten."
(suedkurier.de, 29.3.2008)

Für "beeindruckend" hält Caberta eine "Argumentation", die - auf unseren indonesischen Fall übertragen - von einem FPI-Anhänger, wie folgt, hätte formuliert werden können: "Wer Ahmadis verteidigt, ist im Zweifel selber einer!"** Während es in der Bundesrepublik Deutschland als politisch korrekt gilt, nach einem Verbot religiöser Minderheiten zu rufen, bieten in Indonesien liberale Muslime islamistischem Tugendterror die Stirn und plädieren für eine Legalisierung der Ahmadiyya. Welch ein Zivilisationsgefälle!

* Der Versuch, den Verfechtern religiöser Toleranz Aggressivität zu bescheinigen und sie als Verantwortliche für eine drohende (Gewalt-)Eskalation darzustellen, wird in merkwürdiger Weise konterkariert durch den Vorspann des Artikels: "Erst in Singen, dann in Konstanz: Aktivisten setzten sich verstreut ins Publikum eines Volkshochschulvortrags von Ursula Caberta und wollten die Veranstaltung sprengen. Das Publikum reagierte gereizt und verhinderte, dass die Störenfriede ihr Ziel erreichen. Nun wendet sich der "Bund gegen Anpassung" mit Flugblättern gegen die Hamburger Scientology-Expertin." Hier wird das Naheliegende ausdrücklich bestätigt: Daß es die Hasser bürgerlicher Freiheitsrechte sind, die einen freien demokratischen Diskurs im öffentlichen Raum als eine Zumutung begreifen - und daher "gereizt" auf argumentativ begründeten Widerspruch reagierten ...

** Tatsächlich wurde ebendieser Vorwurf gegen das erste Staatsoberhaupt Indonesiens, Achmed Sukarno, erhoben, weil dieser die Ahmadis - aufgrund deren politischen Verhaltens - als einen Teil der republikanischen Staatsbürgergemeinschaft behandelte: "Some leaders of the nationalist movement, in particular Soekarno (the first president of Indonesia), welcomed Ahmadiyya in Indonesia since it supported the Indonesian struggle for independence. Due to that warm reception, Soekarno was accused of being a follower of Ahmadiyya, which he, however, denied later on." (Dawam Rahardjo, "Terror upon Ahmadiyya and Freedom of Religion", in: Liberal Islam Network [18.7.2005])

[Anmerkungen von mir, Daniel L. Schikora]

Nachtrag: In seinem Flugblatt vom 18.3. geht der "Bund gegen Anpassung" (BgA) aus seiner Sicht auf die Vorfälle in Singen und Konstanz ein. Zudem legt der BgA dar, was ihn - als Atheistenbund - dazu veranlaßt, (im Voltaireschen Geiste) gegen Religionsverfolgungen Stellung zu nehmen - und warum er religiöse Vielfalt den (amtskirchlich bedingten) monopolistischen oder oligopolistischen Strukturen auf dem religiösen Markt der Bundesrepublik Deutschland vorzieht.

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