lundi 3 décembre 2007

Republik oder "Voyoucratie"


Frankreichs Staatsoberhaupt Nicolas Sarkozy nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er rechtsfreie Räume inmitten des Landes anprangert: Die Situation, der sich die republikanischen Ordnungskräfte in französischen Vorstädten ausgesetzt sehen, charakterisierte er jüngst als voyoucratie - Herrschaft der Strolche.

Seit dem 25. November 2007 sieht sich Frankreich erneut mit schweren Ausschreitungen konfrontiert, die von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen aus muslimischen Einwandererfamilien ausgehen. Anlaß der jüngsten Gewalttätigkeiten in dem Pariser Vorort Villiers-le-Bel ist der Tod zweier jugendlicher Motorradfahrer infolge eines Verkehrsunfalls zwischen zwei Jungen schwarzafrikanischer Herkunft und einem Polizeiwagen. Als signifikant für die politische Wirkungsmächtigkeit einer antirassistischen „Political Correctness” auch in der Französischen Republik kann die Eile betrachtet werden, mit der herausgestellt wurde, eine Verfolgungsjagd der Polizisten auf die Jugendlichen liege nicht vor, und ein Alkoholtest der beiden an dem Vorfall beteiligten Polizisten sei negativ ausgefallen. In Anbetracht dessen, daß Schaulustige gegen die Polizisten die Beschuldigung erhoben hatten, den Unfall verursacht zu haben, leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung und unterlassene Hilfeleistung ein.

Die Ereignisse der vergangenen Tage rufen unwillkürlich Erinnerungen an die Gewalteskalationen in den banlieues französischer Städte im November 2005 wach. Von einem „zweiten Clichy-sous-Bois” spricht der sozialistische Lokalpolitiker Francois Pupponi, Bürgermeister von der Villiers-le-Bel benachbarten Gemeinde Sarcelles. „Clichy-sous-Bois” steht für die Vorstadt-Intifada vom Herbst 2005, deren Anlaß ebenfalls der Tod zweier Jungen war. Diese waren Ende Oktober 2005, auf der Flucht vor der Polizei, in einem Transformatorenhäuschen ums Leben gekommen. Von Clichy ausgehend, wurde nahezu überall in den Vorstädten Frankreichs die öffentliche Ordnung durch die planmäßige Zerstörung privaten und öffentlichen Eigentums sowie durch gewalttätige Übergriffe auf Leben und körperliche Unversehrtheit von Polizisten in Frage gestellt. Freilich: Die gegenwärtige Situation wird im Vergleich zu jener von vor zwei Jahren als schlimmer eingestuft.

Mit der - auch in Deutschland - vielfach euphemistisch als „Jugendunruhen” oder „Sozialproteste” titulierten Welle kollektiver Gewaltanwendungen durch junge Muslime verbindet die jüngsten Ausschreitungen der Umstand, daß auch sie sich regionenübergreifend manifestieren. So setzten Jugendliche in Toulouse eine Bibliothek in Brand. Solche Akte der Kriegserklärung an die öffentliche Ordnung, die sich keineswegs nur gegen deren „repressive” Momente richtet, waren es, die den französisch-jüdischen Philosophen Alain Finkielkraut vor zwei Jahren dazu veranlaßten, die jugendlichen Unruhestifter als Beteiligte an einem „anti-republikanischen Pogrom” zu verorten. Der aus der republikanischen Linken stammende Intellektuelle scheute sich bereits damals nicht, die ethno-religiösen Bruchlinien innerhalb der gegenwärtigen französischen Gesellschaft herauszustellen: Die Ausschreitungen seien „gegen Frankreich als frühere Kolonialmacht gerichtet, gegen Frankreich als europäisches Land, gegen Frankreich und seine christliche oder judäochristliche Tradition”.

Premierminister François Fillon gab sich in Anbetracht der aktuellen Herausforderungen heroisch: „Wir werden mit all der Kraft kämpfen, die die Nation aufbieten kann”, erklärte er. Tatsächlich läßt sich das französisch-republikanische Modell einer supra-ethnischen, aber politisch-kulturell homogenen Staatsnation nur dann in glaubwürdiger Weise als Alternative zu einem Rückfall in tribalistische Strukturen propagieren, wenn die Institutionen der Republik in der Lage sind, jedem Bürger, unabhängig von seiner Herkunft und seinem Wohnort, elementare Menschenrechte und insbesondere das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum zu garantieren.

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