jW, 7.5.2016:
Wladislaw Leonidowitsch Inosemzew, Jahrgang 1968, ist auf der einen
Seite ein zu Hause erfolgloser liberaler Politiker aus Russland. Seine
Vita weist jede Menge Parteiwechsel und fehlgeschlagene Kandidaturen für
dieses und jenes Amt aus. Insofern teilt er das Schicksal der gesamten
»prowestlichen« Opposition seines Landes: Das Publikum ist an den
Herrschaften nicht interessiert.
Gerade erst hat eine Umfrage
des – notabene mit westlichem Stiftungsgeld finanzierten – Moskauer
Lewada-Instituts zur Protestbereitschaft der russischen Bevölkerung
Ergebnisse veröffentlicht, die für alle Fans des Regimewechsels
enttäuschend sein müssen. Stabile Mehrheiten um die 80 Prozent lehnen es
ab, sich an Protestaktionen zu beteiligen, egal, ob mit
wirtschaftlichen oder politischen Forderungen. Zur Teilnahme an solchen
Protesten bereit sind demnach acht Prozent bei politischen und 15
Prozent bei wirtschaftlichen Forderungen.
Inosemzew weiß, in
seinem zweiten Leben als Wissenschaftler und Gastdozent verschiedener
westlicher Hochschulen und Stiftungen, auch, warum: Weil es den Menschen
zu gut gehe. »Die Russen von heute leben besser als je zuvor, und
deshalb wird ihre Unterstützung für das gegenwärtige Regime noch lange
stabil bleiben«, diagnostizierte der Mann 2015 in einem Arbeitspapier
der »Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik« (DGAP). Die
Putin-Administration halte zwar den Laden auf autoritäre Weise zusammen
und schere sich nicht um »europäische Werte«, gewähre aber den Bürgern
dieselben im Innenverhältnis durchaus in Gestalt breiter persönlicher
Freiheiten: Geschäfte zu betreiben, zu reisen, sich zu informieren.
Wenig Anhaltspunkte also für eine »Farbenrevolution« nach ukrainischem
Vorbild.
Das will Inosemzew nun mit Hilfe des Westens ändern. In
einem Text in der aktuellen Ausgabe der von der DGAP herausgegebenen
Fachzeitschrift Internationale Politik schlägt er vor, die
gegenwärtigen Sanktionen der europäischen Union gegenüber Russland
beispiellos zu verschärfen: EU-Banken sollten gezwungen werden, ihre
Bestände an russischen Aktien und Anleihen zu verkaufen, was einen
Kurssturz an der Moskauer Börse auslösen würde. Alle in russischer Hand
befindlichen Immobilien in der EU sollten zwangsverkauft werden. Konten
russischer Staatsbürger mit einem Bestand von mehr als 10.000 Euro wären
aufzulösen – interessanterweise geht der Autor hier deutlich weiter als
bis zu den 75.000 Euro Grenzwert, den er in seinem Text von 2015
forderte. Und schließlich solle die EU ihre Grenzen nicht nur für ein
paar Spitzenbeamte schließen, sondern für alle Beschäftigten des
öffentlichen Dienstes in Russland. Erst das tue der russischen
Mittelschicht wirklich weh und könne sie gegen die Staatsmacht
aufbringen, meint der Verelendungstheoretiker und gegenwärtige »Non
Resident Fellow« des Atlantic Council aus Washington zu wissen.
Inosemzew beschwört die EU geradezu, ihr gegenwärtiges
wirtschaftliches Übergewicht auf den Finanzmärkten gegen Moskau in
Stellung zu bringen. Es gelte, die Agenda im Umgang mit Russland endlich
einmal nicht von den Krämerseelen des Kapitals, sondern von der Politik
schreiben zu lassen. Die wirtschaftlichen Kosten verschärfter
Sanktionen seien beherrschbar: Russland sei von der EU viel abhängiger
als umgekehrt. Und bei entsprechend harten Sanktionen werde das
»Putin-Regime« irgendwann einmal ähnlich zusammenbrechen wie einst die
Sowjetunion.
Dass Inosemzew für diesen Zusammenbruch einen
Zeithorizont bis etwa 2025 angibt, also Putin noch eine Amtsperiode
»zugesteht«. Das zeigt, dass da auch im Wald gepfiffen wird. Der Mann
kann sich ohnehin nicht recht entscheiden, ob er Russland nun eher als
Schrottimmobilie oder als Schnäppchen darstellen soll. In dem Aufsatz
von 2015 beschreibt er den Zustand der russischen Volkswirtschaft und
der Staatsfinanzen so, dass sich die EU die Finger lecken müsste,
irgendwann einmal dieses Land aufnehmen zu dürfen: eine geringe
Verschuldung, hohe Goldreserven, unermessliche Rohstoffvorräte und
dergleichen.
Alles Faktoren, die freilich gegen das Wunschszenario
der russischen Liberalen sprechen, dass Brüssel gegenüber Moskau seine
Bedingungen diktieren könnte. »Russland wird erst dann ein normales Land
sein, wenn seine Gesetze ihm von außen auferlegt werden und es keine
Chance mehr gibt, dass der nächste Oberstleutnant in den Kreml lanciert
wird«, schrieb Inosemzew in dem DGAP-Text von 2015. Irgendein Job in der
Kolonialverwaltung dürfte dann für ihn wohl abfallen. Die
Bewerbungsunterlagen sind hiermit eingereicht.
Einziger Haken:
Ganz im Trend liegt Inosemzew offenbar nicht mehr. Gerade erst hat der
scheidende US-Oberbefehlshaber Europa, Philip Breedlove, vor dem Versuch
gewarnt, Wladimir Putin zu stürzen. Das könne nach hinten losgehen.
Putin sei »rationaler« als alle, die auf ihn folgen könnten.
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