mercredi 23 septembre 2015

Freyheit und Democracy (46)

jW, 24.9.2015:

Das Bundesverfassungsgericht spielt Pingpong mit dem Parlamentsvorbehalt bei Kriegseinsätzen: Einerseits erlaubte es gestern der Bundesregierung, Blitzeinsätze der Bundeswehr im Ausland ohne Bundestagsbeschluss durchzuführen. Andererseits rieb es ihr unter die Nase, dass sie für sogenannte Hilfseinsätze ein Parlamentsmandat benötigt – jedenfalls manchmal, und wenn sie länger als ein paar Tage dauern.

Das Urteil erfolgte im Zusammenhang mit der »Pegasus«-Operation im Februar 2011. Damals wurden 132 deutsche und ausländische Staatsbürger von einem Ölfeld in der libyschen Wüste evakuiert. Der Einsatz dauerte nur wenige Stunden, so dass eine Beschlussfassung des Bundestages weder vor noch während der Maßnahme möglich war. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz gestattet solche Einsätze bei »Gefahr im Verzug«, sieht aber vor, dass die Bundesregierung nachträglich im Parlament um Zustimmung ersuchen muss. Das verweigerte die Regierung aber. Ihr Argument: Die Operation sei kein »bewaffneter Einsatz« im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes gewesen, sondern eine friedliche Evakuierungsmaßnahme, bei der keinerlei Kampfhandlungen zu befürchten gewesen wären. Dabei waren unter anderem zwanzig Feldjäger und Fallschirmjäger, zwölf Sturmgewehre und zwei schwere Maschinengewehre mitgeführt worden. Den Soldaten war es ausdrücklich erlaubt, ihren Auftrag auch unter Ausübung von Gewalt durchzusetzen. Die Grünen-Bundestagsfraktion sah im Verhalten der Bundesregierung eine Aufweichung des Parlamentsvorbehalts und zog nach Karlsruhe.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Ergebnis sowohl den klagenden Grünen als auch der beklagten Bundesregierung eine Abfuhr verpasst. Die Bundesregierung hatte eine »extensive Handhabung« des Parlamentsvorbehalts abgelehnt und argumentiert, eine letztlich ohne Schusswechsel verlaufende Operation wie »Pegasus« sei gar kein richtiger Militäreinsatz und gehe den Bundestag prinzipiell nichts an. Diese Auffassung wies das Gericht zurück und bestätigte seine frühere Rechtsprechung: Zwar komme es nicht nur darauf an, ob bewaffnete Soldaten mitgeführt werden, sondern ob zu erwarten sei, dass diese auch tatsächlich in Kampfhandlungen verwickelt würden. Genau das habe aber befürchtet werden müssen, so die Richter unter Verweis auf den »kriegerischen Gesamtkontext« im damaligen Libyen. Die Bundeswehrmission hätte jederzeit angegriffen werden können. Somit sei ein Parlamentsbeschluss im Prinzip notwendig gewesen und habe nur wegen »Gefahr im Verzug« nicht vorab eingeholt werden müssen.

Allerdings, so das Gericht, müsse ein bereits abgeschlossener Einsatz nachträglich nicht mehr dem Bundestag vorgelegt werden. Das Parlament sei »nicht dazu berufen«, über die Rechtmäßigkeit eines bereits beendeten Einsatzes zu urteilen. Die Bundesregierung müsse in diesem Fall das Parlament lediglich über Hintergründe und Verlauf der Operation informieren. Damit hat sie künftig freie Hand für Militärschläge, sofern diese absehbar nur wenige Tage dauern. Während Grünen-Fraktionsvize Frithjof Schmidt sich als »Sieger in der Sache« sah und begrüßte, dass der Herabsetzung der Einsatzschwelle und Aushöhlung des Parlamentsvorbehalts »ein Riegel vorgeschoben« wurde, kritisierte der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Alexander Neu, im jW-Gespräch das Urteil: »Für die Bundesregierung kann damit die Hemmschwelle sinken, Militäreinsätze unter der Kategorie ›Gefahr im Verzug‹ anzuwenden« und einen Beschluss des Bundestages zu umgehen.

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