vendredi 31 juillet 2015

Nazi-Paradies EU-Nordost (30)

jW, 1.8.2015:

Nationale Minderheiten genießen in der EU oder in NATO-Mitgliedsstaaten gleiche Rechte wie die Mehrheitsbevölkerung – so das Selbstbild. Was in das Gemälde nicht passt, wird beschwiegen. Manchmal hilft da die Schweiz.

Unter der Überschrift »Der Graben durch Lettlands Gesellschaft« berichtet Marie-Astrid Langer am Dienstag in der Neuen Zürcher Zeitung über die russischstämmige Minderheit in der baltischen Republik. Rund 270.000 der etwas mehr als zwei Millionen Einwohner sind nach ihren Angaben »Nichtbürger«. Diesen offiziellen Status hätten »all jene Personen, die während der sowjetischen Besatzungszeit von 1940 bis 1991 nach Lettland zogen oder von der Sowjetmacht umgesiedelt wurden«. Nach der Unabhängigkeit sei die Staatsbürgerschaft nur jenen Bürgern und ihren Nachkommen verliehen worden, die bereits 1940 in Lettland gelebt hatten, »700.000 Personen, rund 30 Prozent der Bevölkerung, wurde sie vorenthalten«.

Die speziell lettische rassistische Konsequenz: Im Unterschied zu Estland, wo es ein ähnliches System der Nichtbürger gebe, werden »in Lettland nach wie vor neue Nichtbürger geboren: Bekommen zwei Nichtbürger ein Kind, erhält dieses nicht automatisch die Staatsbürgerschaft wie andere lettische Kinder.« Die Eltern müssen das ausdrücklich beantragen, wovon sie – so die Autorin – oft der persönliche Stolz abhalte. Die Regelung aus dem Geist der Apartheid bedeute zwar Recht auf unbegrenzten Aufenthalt, aber keine Staatsangehörigkeit: »Die Betroffenen dürfen nicht wählen oder gewählt werden und dürfen bestimmte offizielle Posten nicht ausüben – etwa nicht Polizist, Staatsanwalt oder Notar werden.« Zunächst hätten sie – auf englisch steht in ihren Pässen »Republik Lettland, Nichtbürger« – nicht innerhalb des Schengen-Raumes reisen dürfen, inzwischen habe aber die EU »den lilafarbenen Pass der Nichtbürger als offizielles Dokument für visumsfreies Reisen innerhalb der EU anerkannt – und damit indirekt auch den Status der Nichtbürger akzeptiert«. In Lettland geborene »Nichtbürger« verzichten offenbar auf den nötigen Einbürgerungstest, den sie als Beleidigung empfinden.

Wo biologische, religiöse oder ethnische Kriterien zu »Recht« werden, gibt es auch eine Kontrollinstanz – nicht anders als in Saudi-Arabien oder im Iran. In Lettland ist dies ein amtliches Sprachzentrum, »das in der Bevölkerung den Spitznamen ›Sprachpolizei‹ trägt: Die Mitarbeiter kontrollieren landesweit, ob in Firmen nicht zu viel Russisch gesprochen wird.« Bei Verstößen drohe ein Bußgeld, das sogar angestiegen sei. Verdächtigungen über zu viel Russischgebrauch darf »jeder bei den zuständigen Ämtern einreichen«.

Und Flüchtlinge? Beim jüngsten EU-Geschacher um deren Aufnahme brachten die baltischen Republiken wegen ihrer Weigerung, sich zu beteiligen, den italienischen Ministerpräsidenten so in Rage, dass er sie für »nichteuropäisch« erklärte. Am 20. Juli berichtete Sabine Adler im Deutschlandfunk dazu, Lettland habe sich bereit erklärt, 250 von 60.000 aufzunehmen. Die 250 seien aber einigen Parteien der Regierungskoalition in Riga schon zuviel. Es gebe »gesundheitliche Risiken, verschiedene Virusarten«, zitiert sie den Chef der Lettischen Regionalen Vereinigung, Martinsch Bondras. Die Mehrheit der Letten wehre sich, so die Korrespondentin, laut Umfragen gegen die Flüchtlinge: »Ängste, die auf die sowjetische Okkupation zurückzuführen seien«. Das wiedergeben und diesem »Trauma« den Rest des Beitrages widmen ist für die Qualitätsjournalistin eine Art Befehl. Sie lässt sogar eine Vertreterin der Letten russischer Abstammung zu Wort kommen, erwähnt aber an keiner Stelle, dass der Skandal des »Nichtbürger«-Status, der einer der EU ist, dem der neusten Flüchtlingsabwehr lange vorausging. Auch Schweizer und deutsche Medien trennt manchmal die gemeinsame Sprache.

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