lundi 13 octobre 2014

Freyheit und Democracy (12)

jW, 12.10.2014:

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat trotz Bedenken aus den eigenen Reihen das »Lustrationsgesetz« durch seine Unterschrift am vergangenen Donnerstag in Kraft gesetzt. Es war schon am 16. September vom Parlament unter dem Druck der rechten Parteien und randalierender Demonstranten verabschiedet worden. Das Gesetz regelt die Überprüfung der politischen Vergangenheit aller Beamten, Richter und Staatsanwälte bis auf die Ebene des Abteilungsleiters. Außerdem soll es die Entlassung von Kommunisten und Anhängern des früheren Präsidenten Wiktor Janukowitsch aus dem öffentlichen Dienst erleichtern, ebenso wie die sämtlicher Absolventen von Partei- und KGB-Hochschulen aus sowjetischer Zeit. Insgesamt sind nach Schätzungen von Experten die Arbeitsplätze von über einer Million Menschen betroffen, eine enorme Zahl für ein 45-Millionen-Volk.

Das Gesetz sieht neben der Entlassung als weitere Sanktion ein Verbot der Tätigkeit im öffentlichen Dienst und des Bekleidens politischer Ämter für fünf bzw. zehn Jahre vor. Die zehnjährige Sperre soll Personen treffen, die sich an den Repressionen gegen Anhänger des Euromaidan beteiligt haben, etwa Polizisten, Staatsanwälte und Richter. Erheblich umfangreicher ist der Kreis derjenigen, denen ein fünfjähriges Berufsverbot droht. Hierfür reicht es aus, sich gegen die »territoriale Einheit« der Ukraine betätigt oder geäußert zu haben. Zielgruppe dieser Bestimmung sind in erster Linie lokale Amtsträger im Donbass, aber auch Aktivisten der »Partei der Regionen« oder der ohnehin von einem Verbot bedrohten Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU). Hingegen müssen sich Personen, die gegenwärtig Wahlämter innehaben – vom Präsidenten über Abgeordnete aller Ebenen bis hinab zum Bürgermeister –, keiner sogenannten Lustration (aus dem Lateinischen für kultische Reinigung, jW) unterziehen.

Das Gesetz trägt die Handschrift der Kräfte, die es eingebracht haben: der rechten Maidan-Aktivisten. Sogar der amtierende Generalstaatsanwalt, Witali Jarema, kritisiert, daß die Autoren der Bestimmungen an die Stelle einer individuellen Aufarbeitung der Tätigkeit des jeweiligen Beamten summarische Schuldzuschreibungen gesetzt haben. Der ansonsten stramm rechte Jurist hat die Befürchtung geäußert, dass auf das Land eine Welle von Klagen Betroffener zukommen werde. Die zu erwartenden Niederlagen der Ukraine könnten vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Strasbourg das internationale Ansehen des Landes beschädigen.

Befürchtet wird auch, dass die Lustrationsverfahren angesichts der verbreiteten Korruption im Verwaltungsapparat ohnehin nicht »ehrlich« durchzuführen seien. Schließlich äußern Sicherheitsexperten sogar die Vermutung, dass das Gesetz durch die Entlassung von Tausenden Verwaltungs- und Justizfachleuten politisch den prorussischen Kräften kompetente Anhänger und dem russischen Geheimdienst neue Agenten zutreiben und die »Volksrepubliken« in der Ostukraine mit qualifiziertem Personal versorgen werde.

Der CIA-nahe Analysedienst Stratfor notierte nach der Inkraftsetzung trocken, die Vorschriften würden aus den genannten Gründen mit Sicherheit nur selektiv angewendet werden. Das Gesetz diene im wesentlichen dazu, Planstellen im Staatsapparat freizumachen, mit denen Poroschenko eigene Parteigänger für ihren Einsatz belohnen könne. Wenigstens das dürfte klappen: Regierungschef Arseni Jazenjuk berichtete am Freitag höhnisch, auf seinem Tisch türmten sich bereits die Entlassungsgesuche »auf eigenen Wunsch«.

Im Donbass bleibt die Waffenruhe fiktiv. Durch Artillerie- und Raketenbeschuss werden weiter täglich Menschen getötet. So sind allein im Gebiet der Aufständischen in einer Woche des – wie es dort inzwischen sarkastisch genannt wird – »aktiven Waffenstillstands« 55 Zivilisten und Dutzende Angehörige der Volkswehr ums Leben gekommen. Meldungen aus der »Volksrepublik Donezk«, dass sich beide Seiten auf eine Waffenstillstandslinie geeinigt hätten, wurden von Vertretern Kiews zurückgewiesen.

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