lundi 9 juin 2014

Anti-Antifa des Dschungels


Während die Junta in Kiew fortlaufend Massaker an den "prorussischen" Bevölkerungen des Südens und des Ostens der Ukraine verübt, bemängelt der PDL-Rechtsausleger Moritz Kirchner, dass seine Partei nicht genügend 'Äquidistanz' zu Nato/EU und Russland erkennen lasse - und erhält für seine prinzipiell Göring(-Eckardt)-kompatible Positionierung, wen wundert's?, ein Podium in Ivo Bozics Nationalzeitung anti-antiimperialistischer Befindlichkeiten.

Jungle World: Sie haben in einem Aufsatz für die Blätter für deutsche und internationale Politik die Maidan-Proteste als legitim und den Putinismus als illegitim bezeichnet. Können Sie Ihre Argumentation kurz skizzieren?

Moritz Kirchner: Bei den Maida-Protesten ging es um eine Kritik an den Oligarchen, daran, dass sich Einzelne den wirtschaftlichen Reichtum der Ukraine unter den Nagel reißen. Der Ursprungsimpuls für die Proteste war völlig legitim. Putinismus steht für ein autoritäres Regime, das nicht demokratisch ist. Das, was gerade passiert, ist eine imperiale Politik und kann aus einer linken Sicht daher unmöglich als legitim gelten. Eine positive Bezugnahme auf das politische System Russlands ist mit den Prinzipien der Erfurter Parteiprogramms, insbesondere unserer Idee eines demokratischen Sozi­alismus, unvereinbar.

Jungle World: Die Tatsache, dass auf dem Maidan doch recht viele Faschisten mitgemischt haben, relativiert Ihre Einschätzung der Proteste nicht?

Moritz Kirchner: Natürlich soll man die Gefahr der faschistischen Parteien nicht unterschätzen. Aber es ist der Lage unangemessen, die Proteste auf diese faschistische Beteiligung zu reduzieren. Die große Mehrzahl der Menschen hat Kritik an der Korruption in der Ukraine geübt. Und die Wahlergebnisse haben ja jetzt auch gezeigt, dass die Zustimmung zu den Faschisten gering ist.

Jungle World: Oft wird auch angeführt, dass die Nato oder »der Westen« Russland bedrängten, immer näher an seine Grenzen rücken würden.

Moritz Kirchner: Das Paradoxe ist doch: Linke lehnen die militärische Durchsetzung geopolitischer Interessen normalerweise ab. Und jetzt sagen plötzlich viele, man müsse Russland aber doch verstehen. Nein, wenn Politik militarisiert wird, dann muss man das als Linker kritisieren, ebenso die imperiale Einverleibung eines Gebietes.

Jungle World: Sie schreiben: »Die Linke in Deutschland kämpft für den Frieden. Der militärische Konflikt ist von Russland begonnen worden. Folglich muss Russland auch der Adressat der Kritik sein.« In der Linkspartei ist davon nicht die Rede. Im einstimmig angenommenen Beschluss des Parteitags heißt es: »Anders als es die Bundesregierung darstellt, ist nicht in erster Linie Russland für die Zuspitzung der Situation um die Ukraine verantwortlich.«

Moritz Kirchner: Ich denke schon, dass man versucht hat, einen ausgewogenen Antrag zu formulieren. Dass man alle Seiten zum Verzicht auf Gewalt und zum Dialog auffordert, ist völlig richtig. Nur, angesichts der Tatsache, dass der Hauptimpetus bei Russland liegt, ist es natürlich problematisch, dass man zwar alle Seiten auffordert und den Westen explizit benennt, aber Russland und die prorussischen Separatisten nicht. Man hat Russland auch nicht aufgefordert, seine Truppen von der ukrainischen Grenze abzuziehen. Die Mehrheit in der Partei hat ein größeres Verständnis für das russische Vorgehen, als ich es nachvollziehen kann.

Jungle World: Eine recht deutliche Mehrheit. Außer von Ihnen habe ich nicht eine einzige Wortmeldung aus der Partei vernommen, bei der Russland als Aggressor ausgemacht wird. Katja Kipping, die auf dem Parteitag versucht hat, zumindest ein wenig Äquidistanz zu wahren, erhielt wenig Applaus und wurde anschließend bei der Vorstandswahl mit kärglichen 77,3 Prozent der Stimmen abgestraft.

Moritz Kirchner: Meine Position unterscheidet sich nicht von der von Katja Kipping: Nicht auf der Seite des Westens, nicht auf der Seite Russlands, sondern auf Seiten des Völkerrechts und der Menschen in der Ukraine. Hegemonial ist in der Partei die Position: Wir wollen ein Gegenwicht zum Mainstream setzen – und so kommt es dann zu einer gewissen Solidarisierung mit Russland.

[...]

Jungle World: Welche Rolle spielt in der Partei der Antiimperialismus?

Moritz Kirchner: Eine große. Wir sagen, wir treten ein für Frieden und gegen Militarismus und wir wollen kein Recht des Stärkeren – das steht in der Präambel des Parteiprogramms. Das Grundverständnis ist in diesem Sinne antiimperialistisch. Aber ich denke, wenn man antiimperialistisch ist, dann doch bitteschön gegenüber allen Seiten, also auch gegenüber Russland!

Jungle World: Es wird ja auch häufig betont, dass die russische Intervention antifaschistisch begründet sei, weil in Kiew seit dem Umsturz Faschisten mitregieren. Zeigen sich hier die Schwächen des alten Antifaschismus-Verständnisses aus DDR-Zeiten?

Moritz Kirchner: Das wäre etwas weit hergeholt, zu sagen, dass das aus DDR-Zeiten herrührt. Ich glaube eher, dass die Tatsache, dass da auch Faschisten am Werk sind, für viele ein derart starker emotionaler Bezugspunkt ist, dass darauf sich die Wahrnehmung fokussiert und darauf die Bewertung des Konflikts basiert. Aber in der Tat ist es paradox: Wenn es denn so wäre, dass der Umsturz in der Ukraine faschistisch konnotiert wäre, was meiner Meinung nach so allgemein nicht gesagt werden kann, dann kann doch nicht eine nationalistische oder imperialistische Politik die Antwort darauf sein. Ich sehe so eine gewisse Romantisierung von Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion. Dieser Sowjetromantizismus führt dazu, dass man gegenüber der russischen Regierung oft zu nachsichtig ist und dann mit zweierlei Maß misst.

Jungle World: Gabi Zimmer, Fraktionsvorsitzende der »Linken« im Europaparlament, hat erklärt, sie stehe dazu, eine »Russland-Versteherin« zu sein, damit meine sie ihre Sozialisation mit Dostojewksi und der russischen TV-Serie »Nu, pogodi!«. Also haben wir es so gesehen vielleicht doch mit einem DDR-Überbleibsel oder einer Neuauflage der deutsch-sowjetischen Freundschaft zu tun?

Moritz Kirchner: Die DDR-Sozialisation führt sicher dazu, dass man ein anderes Verständnis hat. Die Sowjetunion war zu Ostzeiten der große Bruder. Sie wurde vor allem als Befreier gesehen und dafür habe ich auch jedes Verständnis. In Teilen der Linken ist es aber auch so eine Art antiwestlicher Selbsthass.

Jungle World: Gibt es Unterschiede zwischen West und Ost?

Moritz Kirchner: Kaum. Der Grad, in dem eine Parteinahme für Russland erfolgt, korreliert eher damit, auf welchem Flügel der Partei man sich verortet.

Jungle World: Liegt die Zurückhaltung der Reformer vielleicht daran, dass sie sich sonst immer auf ihre brave Basis im Osten verlassen können, bei diesem Thema jedoch nicht?

Moritz Kirchner: Ich denke, das ist in der Tat ein Grund. Aber ich würde hinzufügen wollen: So ein Parteitag hat immer eine gewisse Dynamik und sobald Emotionen ins Spiel kommen, sobald dort die Nato und der US-Imperialismus gegeißelt werden, heizt sich die Stimmung auf. So sind Parteitagsbeschlüsse oft radikaler als das, was die Partei dann praktisch umsetzt. In der Psychologie spricht man von Gruppendenken, man radikalisiert sich in so einem Prozess. Da haben dann vielleicht einige Angst, zurückgestoßen zu werden, wenn sie zu klar eine andere Meinung äußern.

Jungle World: Dafür wird man dann vielleicht von anderen zurückgestoßen. Es gibt mehrere Arbeitsgruppen zwischen SPD, Grünen und Linken, die an einem rot-rot-grünen Projekt für die Zukunft arbeiten. Können die jetzt einpacken?

Moritz Kirchner: Die nächste Bundestagswahl ist erst in drei Jahren, das ist in der Politik eine sehr lange Zeit. Sicher war dies für die Verständigung des linken politischen Lagers ein Rückschritt. Und auch für den Reformerflügel, der explizit auf Rot-Rot-Grün hingearbeitet hat, ist dies ein Rückschlag. Die Partei muss sich über ganz grundlegende Fragen noch einmal neu verständigen. Eine positive Bezugnahme auf das russische Handeln auf der Krim ist mit dem Erfurter Parteiprogramm eigentlich unvereinbar. Die Außenpolitik ist hinsichtlich rot-rot-grüner Perspektiven die entscheidende Frage.

[...]

(Jungle World, 5.6.2014)

Aucun commentaire: