lundi 25 juillet 2011

Ilja-Ehrenburg-Straße: Zwei kleine Nazis garantieren öffentliche Erinnerung an großen Antifaschisten*


In der Sitzung der Rostocker Bürgerschaft vom 29. Juni wurde über einen Antrag der beiden NPD-Abgeordneten David Petereit und Birger Lüssow abgestimmt, der mit dem Namen der Ilja-Ehrenburg-Straße einen der verbliebenen antifaschistischen Erinnerungsorte zum Gegenstand hatte. In dem Antrag der Neonazi-Partei wird von der Benennung einer Straße nach dem sowjetischen Antifaschisten in Rostock-Toitenwinkel als von einem „negativen Alleinstellungsmerkmal der Hansestadt“ gesprochen; diese Namensgebung sei „europa-, wenn nicht weltweit einmalig“. Die Antragsteller beschuldigen Ehrenburg, „Hass gegen das Deutsche Volk“ in einer Weise geschürt zu haben, die „unter anderen Umständen“ strafrechtlich verfolgt worden wäre. Als ob ihrem geschichtspolitischen Anti-Antifa-Vorstoß ein metapolitisch-humanitaristisches Anliegen zugrunde liege, appelliert der Antrag an die Bürgerschaftsmitglieder, „einen möglichst neutralen Standpunkt einzunehmen. Sie mögen sich vorstellen, es ginge um einen ehemaligen NS-Schriftsteller, der vergleichbare Forderungen wie Ehrenburg verbreitet hätte.“

Bevor über den NPD-Antrag abgestimmt wurde, nahm ein Bürgerschaftsabgeordneter der Partei Die Linke zu dem NPD-Antrag Stellung. Er machte auf die Fehlerhaftigkeit des Inhalts des Antrags aufmerksam, beginnend bei der simplen falschen Tatsachenbehauptung, es gebe zumindest in Europa nur eine Straße, die den Namen Ilja Ehrenburgs trage, nämlich die in Toitenwinkel: „[…] ein NPD-Mitglied kann natürlich nicht wissen, dass Russland einen europäischen Teil besitzt und die Ukraine und Weißrussland auch zu Europa gehören. In Kiew, der Geburtsstadt Ehrenburgs, gibt es selbstverständlich eine Straße, die nach ihm benannt ist.“ Sodann stellte der Abgeordnete der LINKEN heraus, gegen wen sich Ehrenburgs „Hass-Artikel“ richteten: nicht gegen „das deutsche Volk“ in seiner Gesamtheit, sondern „gegen bewaffnete deutsche Soldaten, die Kriegsverbrechen und Völkerrechtsverbrechen in Weißrussland, der Ukraine und Russland begingen“. Die Behauptung der NPD (und keineswegs nur dieser), Ehrenburg habe sich, indem er nach dem Überfall auf die UdSSR zum Widerstand gegen die Hitlerschen Rasseimperialisten aufrief, so verhalten, dass er unter anderen Umständen mit strafrechtlicher Verfolgung hätte rechnen müssen, erledigte der Abgeordnete mit den Worten: „Dass Ilja-Ehrenburg unter anderen Umständen die Strafverfolgung ereilt hätte, ist richtig, doch der Faschismus ist auf dem Schlachtfeld unterlegen.“ Der Abgeordnete rief in Erinnerung, dass Ilja Ehrenburg zusammen mit Wassili Grossman das Schwarzbuch über den Genozid an den sowjetischen Juden schuf, eine systematische Dokumentation über die planmäßige Ermordung jüdischer Sowjetbürger durch die Hitlerfaschisten.

Der NPD-Antrag zur Umbenennung der Ilja-Ehrenburg-Straße fand erwarteterweise keine Mehrheit in der Bürgerschaft. Allerdings traf er bezeichnenderweise auch nicht auf eine geschlossene Ablehnung aller anderen Fraktionen: Einige Abgeordnete der CDU-Fraktion enthielten sich oder verließen den Saal bei der Abstimmung. Es war ausschließlich der Umstand, dass durch dieses Verhalten der bisherige „Konsens“ einer Ächtung der Initiativen der NPD-Abgeordneten, unabhängig von ihrer inhaltlichen Stoßrichtung, gebrochen wurde, der in dem sozialdemokratischen Anti-NPD-Weblog Endstation Rechts als kritikwürdig befunden wurde.** Somit führt – neben der CDU – auch das SPD-Organ ER vor Augen, dass die – in der Sache begrüßenswerte – Entscheidung der Bürgerschaft für den Erhalt der öffentlichen Präsenz des Namens Ilja Ehrenburgs in Rostock alles andere als einen antifaschistischen Konsens widerspiegelt.

„Ilja Ehrenburg bleibt“ – als Stachel im Fleisch nicht nur einer neonazistischen Minderheit, sondern auch derer, die sich lediglich aus Gründen der Political Correctness – um nicht mit zwei kleinen Neonazis in eins gesetzt zu werden – eines Angriffs auf die öffentliche Erinnerung an einen großen Antifaschisten tunlichst enthalten haben.

* Erstveröffentlichung unter dem Titel: List der Vernunft: Zwei Neonazis garantieren öffentliche Erinnerung an Antifaschisten Ilja Ehrenburg, http://boju.blogsport.de/2011/07/25/list-der-vernunft-zwei-neonazis-garantieren-oeffentliche-erinnerung-an-antifaschisten-ilja-ehrenburg/.

** Die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Claudia Barlen, die sich dem Thema am 6. Juli in einem ER-Beitrag widmete, verteidigte mit keinem Wort Ilja Ehrenburg gegen den – von ihr zitierten – NPD-Vorwurf des Schürens von „Hass gegen das Deutsche Volk“ und ging auch sonst in keiner Weise auf den rabiat geschichtsrevisionistischen Inhalt des Antrags der Neonazis inhaltlich ein.

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