vendredi 8 janvier 2016

Informationspolitik für Deutsch-Europa (36)

jW, 6.1.2016:

Die Neujahrsnacht in Köln wird im öffentlichen Gedächtnis bleiben. Allerdings kaum als das, was sie war, nämlich ein Beispiel für das Scheitern eines Polizeieinsatzes. Eine oder mehrere Gruppen junger Männer sollen vor dem Hauptbahnhof inmitten einer feiernden Menschenmenge ihre Opfer unbehelligt bedrängt, sexuell belästigt und beraubt haben. In mindestens einem Fall soll es zu einer Vergewaltigung gekommen sein. Bislang wurden rund 100 Anzeigen erstattet.

Die Polizei, da wird aus dem Verbrechen ein Skandal, will davon – trotz lückenloser Kameraüberwachung des Bahnhofs – nichts mitbekommen haben. Dementsprechend harmlos las sich ihre Berichterstattung am Neujahrstag. Von »ausgelassener Stimmung« unter »1.000 Feiernden« und einer »weitgehend friedlichen« Party war die Rede. Erst Tage später drehte sich die Darstellung. Am 2. Januar gaben die Kölner Ordnungshüter bekannt, dass Zeugen von »zwei bis drei«, aber auch von »bis zu 20 Tätern« berichtet hätten. Am 4. Januar waren für die Medien aus den 1.000 Feiernden dann 1.000 Straftäter geworden. »Silvester-Sex-Mob! Kannten die Täter sich alle?« unkte Bild am 5. Januar mit Blick auf die »aus dem nordafrikanischen Raum und dem Nahen Osten« stammenden Verdächtigen. Das allerdings können die Behörden nicht bestätigen: »Wir wissen nicht, wer die Täter sind«, so der Kölner Polizeichef am Dienstag.

Die Politik erst macht am Dienstag aus dem Polizeiskandal ein Politikum. »Es ist untragbar, dass Frauen in deutschen Großstädten nachts von jungen Migranten sexuell traktiert und beraubt werden«, dröhnt Andreas Scheuer. Ob das tragbarer wäre, wenn es sich nicht um Migranten als Täter handelte, bleibt der Phantasie des CSU-Generals überlassen. Rassekundlerin Julia Klöckner (CDU) treiben Ahnungen von »bestimmten Kulturkreisen« um, die »unsere Werte« akzeptieren müssten, auch wenn sie es »aus ihrem Heimatland anders gewohnt sind«. Die Vergewaltigung in der Ehe, in der Bundesrepublik bis 1997 kein Straftatbestand, wird sie damit kaum meinen. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) weiß: »Wer Frauen erniedrigt, kann kein Teil unserer Gesellschaft sein.« Er wird sicher keinen Stab über »die Bayern« brechen wollen, weil es auf deren Oktoberfesten regelmäßig zu ähnlich kriminellen Auswüchsen kommt.

Das wäre auch hetzerisch und unangebracht. Doch die Konjunkturritter der Angst feiern ihre Feste, wie sie fallen. Im Dezember 2015 machte sich die rechte Webseite PI-news Gedanken über angebliche Massenvergewaltigungen durch Ausländer und befand: »Darf man so einfach von Lüge sprechen, nur weil etwas noch nicht im Ernst geschehen ist? Es ist keine Lüge, es ist Notwehr.«

Wer Honig aus der Angst der Menschen saugt, hat eben Interesse daran, ein solches Klima zu schaffen. Und nicht an der Aufklärung eines Verbrechens. Da wird aus Skandal und Politikum echte Herrschaftspolitik.

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