jeudi 8 octobre 2015

Freyheit und Democracy (50)

jW, 9.10.2015:

Ob Swetlana Alexijewitsch den Literaturnobelpreis in literarischer Hinsicht verdient hat, ist eine legitime, aber letztlich überflüssige Frage. Esoterische japanische Poeten sind ausgezeichnet worden, warum denn nicht zur Abwechslung mal eine Autorin literarischer Reportagen? Zumal sich diese mit einem Thema befassen, das in der Tat nach Aufarbeitung schreit: dem Zerfall der sowjetischen Welt, ihrer Alltagskultur.

Größter Beliebtheit im Westen erfreuen sich Alexijewitschs Berichte über Leiden, die die Sowjetmacht ihren Bürgern zufügte. Wegen ihrer so bevorzugten Porträts von Hinterbliebenen des Afghanistan-Kriegs oder Opfern der Tschernobyl-Katastrophe wird sie seit Jahren als Kandidatin für Höheres als den Friedenspreis des deutschen Buchhandels (2013) und ähnliches gehandelt. Doch ausgezeichnet wird sie gerade jetzt, unmittelbar vor der Präsidentenwahl in ihrer belorussischen Heimat am Wochenende. Das ist mehr Timing als Zufall.

Mit der Prämierung der expliziten Antisozialistin will das Komitee einen Gegenakzent zur erwarteten Wiederwahl des belorussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko setzen. Die Auszeichnung für Alexijewitsch ist der erste Nobelpreis überhaupt, der nach Belarus vergeben wird. Trotzdem wird die nationalistische Opposition sich mit ihr schwertun. Denn die Autorin tut etwas, was »ordentliche« Belorussen nicht tun sollten: Sie schreibt auf Russisch.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Nobelpreiskomitee sich als moralische Weltregierung aufführt. Erinnert sei an die peinlichen Friedensnobelpreise für den Drohnenmordskerl Barack Obama (2009) und die kapitalistische Internationale EU (2012). Wer sich so vor realen Machthabern verbeugt, und dann im Windschatten ihres Wirkens »Oppositionelle« auszeichnet, steht mit einem Bein im Fettnäpfchen der Lächerlichkeit.

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