"Wie bedenken- und skrupellos der Adenauer-Staat vorging, wie weit ihn ein perverser Antikommunismus trieb, bewies die Regierung im Mai 1955, als sie die „Organisation Gehlen“ in den Dienst der zweiten deutschen Demokratie übernahm. Eine komplette Abteilung des ehemaligen Oberkommandos der Hitler-Wehrmacht, die Abteilung Fremde Heere Ost, wurde zum Organ des Bundeskanzleramtes! Während ihre Spionage im Rahmen des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion eine wichtige Rolle gespielt hatte, wurde sie nun zum Bundesnachrichtendienst umfunktioniert, damit sie ihre Arbeit zum Schutze des christlichen Abendlandes leistete."
Am 10. Dezember verstarb mit Ralph Giordano (* 1923) ein Autor, der sich in herausragender Weise sowohl um eine kritische öffentliche Auseinandersetzung mit der weitgehenden juristischen und politischen Nichtaufarbeitung des Kriminalitätskomplexes der Genozidverbrechen Nazideutschlands in der BRD, als auch um das Gedenken des Genozids an den Armeniern in Anbetracht der türkisch-nationalistischen Politik der Leugnung verdient gemacht hat. Im folgenden sei aus Anlass des Todes des streitbaren Demokraten und Antifaschisten ein Kommentar zur Beteiligung Giordanos an einer religionspolitischen Kontroverse des Jahres 2007 dokumentiert.
„Ich werde auch weiterhin auf meiner kulturellen Selbstbestimmung beharren, auf einer Lebensform, die die meine ist und die in mannigfacher Hinsicht mit der muslimischen nicht übereinstimmt. Und ich will das sagen dürfen, unbehelligt. Ich will sagen dürfen, dass ich auf deutschen Straßen weder Burka noch Tschador begegnen will, so wenig wie Muezzin-Rufe von haushohen Minaretten hören.“
Diese Worte stammen nicht aus dem Munde eines völkischen Romantikers oder eines Klerikalkonservativen. Vielmehr stammen sie von dem deutsch-jüdischen Schriftsteller Ralph Giordano, der in der deutschen Öffentlichkeit bisher mit dem Anliegen einer kompromisslosen Aufklärung über die Völkermorde der Nazis assoziiert wurde.
So prangerte Giordano etwa in seiner Buchveröffentlichung „Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein“ (1987) das weitgehende Fehlen einer adäquaten Ahndung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen durch die Justizorgane der Bundesrepublik Deutschland und den Rückgriff auf Funktionseliten des „Dritten Reiches“ in die Apparate der Exekutiv– und Legislativorgane des demokratisch reorganisierten (West-)Deutschland an, verschwieg aber auch nicht die geschichtspolitisch fatalen Auswirkungen des (...) „verordneten Antifaschismus“ der DDR.
Was weniger bekannt sein dürfte: Insbesondere in den 80er Jahren engagierte sich Giordano vehement für eine Aufklärung der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit über den von der osmanischen Staatsführung ausgehenden Völkermord an den Armeniern 1915/16, was dem zivilcouragierten Autor seitens türkischer Nationalisten wüsteste, antisemitische Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen eintrug.
Genau dies wiederholte sich nun im Zusammenhang mit Giordanos kritischen Stellungnahmen zu einem geplanten Repräsentativbau einer Moschee in Köln-Ehrenfeld mit zwei 55 Meter hohen Minaretten – ein von allen etablierten kommunalpolitischen Kräften des sogenannten „Verfassungsbogens“ (Edmund Stoiber) kritiklos mitgetragenes Projekt, das Giordanos Auffassung nach eine Integration der Muslime vortäusche, die tatsächlich nicht gelungen sei:
„Meine Forderungen an die politische Leitung der Stadt Köln, die Pläne zum Bau einer zentralen Großmoschee in Köln-Ehrenfeld einzustellen, weil sie angesichts der gescheiterten Integration ein falsches Bild von den wahren Beziehungen zwischen muslimischer Minderheit und Mehrheitsgesellschaft entwerfen, haben mir Morddrohungen eingebracht, unmissverständlich und in türkischer Sprache – womit ich diesen Teil der muslimischen Minderheit nicht unter Generalverdacht stellen will.“
Der islamische Ansprechpartner der städtischen Behörden beim Bau der Großmoschee ist die Türkisch-Islamische Union (Ditib), die unter der Kuratel der – ursprünglich säkularistisch ausgerichteten, mittlerweile jedoch „fundamentalistisch“ durchsetzten – Religionsbehörde des türkischen Staates, Diyanet Isleri Baskanligi, steht.
Der Moscheebau-Kritiker Giordano hat sich (...) aus multikulturalistischer Sicht des Vergehens schuldig gemacht, aus der „ethnischen“ Nische, die man hierzulande einem überlebenden Juden gern zugesteht, herauszutreten und als deutscher Bürger Partei zu ergreifen (...). In diesem Sinne verwies der Kölner CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma expressis verbis auf das Verfolgtenschicksal Giordanos, um sein Unverständnis über dessen islampolitischen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen, nach der Devise: Wem die Nazis das Recht auf Leben absprachen, der muss aus der Geschichte lernen – und islamistische Herrschaftsansprüche unterstützen.
Daniel Leon Schikora
Während die junge Welt einen leidlich fairen Nachruf auf Ralph Giordano veröffentlichte (jW, 11.12.2014), gab das Neue Deutschland dem Israel-Hasser und Djihadismus-Apologeten Fabian Köhler Gelegenheit, den verstorbenen Antifaschisten in den Schmutz zu ziehen:
"Am Montag starb der Schriftsteller und Publizist Ralph Giordano. Medien würdigen den Holocaust-Überlebenden für seinen Kampf gegen Rechts. Als einen auch im hohen Alter stets hellwachen Kritiker totalitärer Regime. Als großen Humanisten. Dagegen ist nichts einzuwenden, wäre Giordano vor zehn Jahren gestorben. Denn neben seiner Kritik an (fehlender) deutscher Vergangenheitsbewältigung und seinem öffentlichen Kampf gegen Rechtsextremismus, bleibt Giordano auch als nicht immer unfreiwillige Galionsfigur einer rechten Islamhasserbewegung in Erinnerung. (...) Nicht zuletzt übersteht Giordanos Umgang mit der muslimischen Minderheit in Deutschland aber auch sein eigenes Urteil nicht. Die 'ungeteilte Humanitas' - also das Bekenntnis zur Gleichwertigkeit allen Menschseins - ist das Leitmotiv seiner Autobiographie. Was aus ihm geworden war, schreibt Giordano dort selbst: 'Ein Antifaschist, der die Humanitas teilt, ist keiner.'" (ND, 11.12.2014)
Seine völlige innere Beziehungslosigkeit sowohl zur kommunistischen als auch zur bürgerlich-demokratischen Phase des Lebenswerks Giordanos bringt der ND-Autor darin zum Ausdruck, dass er die politische Biographie des Shoah-Überlebenden (soweit er sie goutiert) nur fassen kann in - von ihm paraphrasierten - abgedroschenen Phrasen aus dem Arsenal des bundesrepublikanischen Hurrapatriotismus ("Kampf gegen Rechts", "hellwacher Kritiker totalitärer Regime", ...), mit denen sich ebenso eine Eloge auf, sagen wir: Wolfgang Thierse bestreiten ließe. Anlässlich des Versterbens des Juden und Säkularisten Giordano bietet das ND einem Autor ein Podium, der in der Manier eines Martin Hohmann von einem "recht gottlosen Nationalsozialismus" faselt, und dem alles, was Antifaschismus ausmacht - und was sich jedenfalls in den besten Momenten des Wirkens Giordanos manifestierte - ein Greuel sein muss.
* In derselben Ausgabe des ND erschien aus der Feder von Karl Vesper ein von Empathie getragener Nachruf auf Ralph Giordano.
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