mercredi 19 mars 2014

Bräuche der Vormoderne

DIE WELT vom 17.3.2014 berichtet:

"Viele waren nicht gekommen, obwohl es um die Zukunft der Frauen im Irak geht. Nicht mehr als 30 Demonstranten zogen durch die Innenstadt von Bagdad, um gegen eine Neufassung des Familienrechts zu protestieren. 'Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit', sagte Hanaa Eduar, Menschenrechtsaktivistin der Al-Amal-Gesellschaft für die Verbesserung der sozioökonomischen Situation der Frau im Irak. 'Ein Gesetz der Pädophilie', nannte es Yana Mohammed, die Präsidentin der Organisation für die Freiheit der Frau.

Dass solche Pläne ausgerechnet im Irak auf den Tisch kommen, ist bemerkenswert. Denn eigentlich war der Irak immer eher fortschrittlich: Schon 1959 gab sich das Land ein Familiengesetz, das Frauen im Vergleich zu vielen anderen arabischen Staaten wesentlich mehr Rechte im Scheidungsfall, beim Sorge- und Erbrecht gibt.

Der Staat reguliert das auf islamischem Recht basierende Gesetz, das für alle Bürger des Landes gleichermaßen gültig ist – unabhängig von der Zugehörigkeit der Glaubensgemeinschaft. Schließlich ist der Irak von verschiedenen Religionsgemeinschaften geprägt. Die Mehrheit der Bevölkerung ist schiitisch, doch es gibt auch eine starke sunnitische Minderheit sowie eine kleine christliche und eine jesidische Gemeinde. Mit der Gleichheit vor dem Gesetz soll es nun vorbei sein.

Der schiitische Justizminister Hassan al-Schimari hat den Entwurf zur Änderung des Familienrechtes vorgelegt. Im Kabinett wurde es schon mit 21 von 29 Stimmen abgesegnet und soll nun dem Parlament vorgelegt werden. Am 30. April wird abgestimmt. Dschaafari-Gesetz, so heißt die Novelle. Der Name bezieht sich auf den sechsten schiitischen Imam Dschaafar al-Sadik (702–765), dessen Rechtsprechung als Grundlage der Vorlage diente. Die Besonderheit: Es soll allein die Familienbeziehungen der Schiiten im Land neu regeln.

Männer könnten dann schon Mädchen im Alter von neun Jahren heiraten, wobei die Mädchen keine Einwilligung der Eltern bräuchten. Jungen könnten ab einem Alter von 15 Jahren eine Ehe eingehen. Bisher mussten sowohl Braut als auch Bräutigam mindestens 18 Jahre alt sein.

Eheschließungen mit Nichtmuslimen wären nach dem neuen Gesetz verboten, das Erb- und Scheidungsrecht der Frauen im Vergleich zu heute eingeschränkt. Scheitert eine Ehe, bekäme der Vater automatisch das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder.

Aber auch Vergewaltigung in der Ehe wäre mit dem Dschaafari-Gesetz legalisiert. Dem Mann würde gesetzlich das Recht zugesprochen, mit seiner Frau jederzeit Geschlechtsverkehr zu haben, unabhängig davon, ob sie einverstanden ist. Zudem dürfte die Frau ohne die Zustimmung des Ehemanns nicht mehr das Haus verlassen.

'Dieses Dschaafari-Gesetz wäre desaströs und ein diskriminierender Rückschritt für die Frauen und Mädchen des Irak', sagt Joe Stork, der stellvertretende Direktor von Human Rights Watch für den Nahen Osten und Nordafrika. 'Dieses Familiengesetz würde die Spaltung der irakischen Gesellschaft noch weiter verstärken, obwohl die Regierung vorgibt, gleiche Rechte für alle zu unterstützen.'

Das Gesetz verstoße auch gegen internationale Abkommen, etwa die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sowie die Kinderrechtskonvention. Beide hat der Irak unterzeichnet.

Die irakische Menschenrechtsaktivistin Hanaa Eduar ist außer sich: 'Das Gesetz beraubt die Frauen ihrer Würde und verstärkt die konfessionelle Spaltung.' Die Frauenrechtlerin glaubt, den Hintergrund des Gesetzes zu kennen: Da seien schlichtweg Männer "auf der Suche nach Kindern, um Sex zu haben". Eltern mit Töchtern seien angewidert von den geplanten rechtlichen Änderungen.

'So etwas hat man vielleicht vor 2000 Jahren gut gefunden, aber nicht heute', befindet Yana Mohammed, die Präsidentin der Organisation für die Freiheit der Frau. 'Diese religiösen Männer in teuren Anzügen sprechen im Namen Gottes, aber sie fragen nicht, ob es die Menschen wirklich wollen.'

Justizminister Hassan al-Shimari, der Urheber des Gesetzes, sieht die Dinge völlig anders. Das seit 1959 bestehende Familiengesetz verstoße gegen die Scharia. Darum müsse es einfach geändert werden.

Der gleichen Meinung ist auch Hussein al-Murabi, Parlamentsabgeordneter und Führer der schiitischen Fadila-Partei, zu der auch der Justizminister gehört. 'Das ist Bestandteil der Freiheit', meint al-Murabi. 'Gemäß der Verfassung des Irak hat jede Bevölkerungsgruppe das Recht, ihr Familiengesetz nach den Regeln ihres Glaubens auszurichten.'

[...]"

Erinnert sich noch jemand daran, wie ein deutscher Neokonservativer, der im Frühjahr 2003 gemeinsam mit den "linken" Zivilgesellschaftern Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken die Invasion des Irak bejubelte, seine Position begründete? Hannes Stein führte damals unter anderem aus:

"Viertens: Ich bin für diesen Krieg, weil ich reaktionär bin. Früher war bekanntlich alles besser; das gilt besonders für den Irak. Die Diktatur der Baath-Partei ist kein Ergebnis der kulturellen Tradition Mesopotamiens; sie ist - wie der Nationalsozialismus - ein Ergebnis des Bruchs mit allen Traditionen. Sie ist ein Resultat der teuflischen Moderne. Mesopotamien war nie totalitär, es ist immer ein bunter Flickenteppich aus verschiedenen Ethnien und Religionen gewesen. Im Zweistromland wohnten Araber, Kurden und Griechen, Sunniten, Schiiten, assyrische Christen, Gnostiker und Juden in schlampiger Toleranz nebeneinander.

Erst in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde aus Deutschland der Virus des Rassismus eingeschleppt; erst in den vierziger Jahren gab es Pogrome; erst in den fünfziger Jahren wurden die Juden vertrieben; erst in den siebziger Jahren setzte eine brutale Arabisierungspolitik ein; erst in den achtziger Jahren rottete Saddams Armee 100 000 Kurden aus; erst in den neunziger Jahren massakrierte sie die Schiiten.

Die Amerikaner werden den Irakern gestatten, im einundzwanzigsten Jahrhundert all diesen modernen Unfug beiseite zu räumen und wieder an die menschenfreundlichen Bräuche der Vormoderne anzuschließen. Als da wären: im Caféhaus sitzen, Nargila rauchen und den Nächsten leben lassen. Alhamdullilah!"

Kann man deutschlicher zum Ausdruck bringen, dass die Freiheit, für die die genannten Querfrontler für Bush trommelten, ebenjene Freiheit war, der Hassan al-Shimari und Co. jetzt "rechtspolitisch" zur Geltung verhelfen?

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