lundi 5 mars 2012

Rostock: Anti-Antifa-Kampagne gegen Ilja-Ehrenburg-Straße reloaded


1. Offener Brief der Initiative Ilja Ehrenburg an Stadt und OB, 29.2.2012

"[...] der Pressesprecher der Hansestadt Rostock kündigte in einem Beitrag des NDR-Kulturjournals vom 27. Februar 2012 an, der Oberbürgermeister wolle die Diskussion um den Namen der Ilja-Ehrenburg-Straße aufgreifen, einen Umbenennungsprozess auf den Weg bringen und dazu in den nächsten Tagen und Wochen das Gespräch mit den Vertretern der Kommunalpolitik suchen.

Wir fragen den Oberbürgermeister nachdrücklich, aus welchem Grund er die Diskussion aufgreifen will. Wir ersuchen ihn, mit allem Verantwortungsgefühl zu prüfen, worum es sich bei den als Grund vom Pressesprecher der Stadt genannten >jüngsten Erkenntnissen< zu Ilja Ehrenburg tatsächlich handelt.

[...]

Wir rufen die Verantwortlichen der Stadt auf, die politische Signalwirkung einer Eskalation der Diskussion um den Namen einer nach einem weltberühmten Schriftsteller, Antifaschisten und Juden benannten Straße im zwanzigsten Jahr nach den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen und nach dem Bekanntwerden der Tatsache, dass auch in Rostock vom so genannten >Nationalsozialistischen Untergrund< ein Mord verübt wurde, bundesweit und international für Rostock zu bedenken.

Wir bitten unsere Adressaten, uns zu gestatten, in den nächsten Tagen und Wochen in dieser Angelegenheit mit weiteren Informationen an sie heranzutreten. Wir laden sie und alle Einwohner der Hansestadt Rostock ein, mit uns in den Dialog zu treten. Die Ilja-Ehrenburg-Straße trägt den Namen einer großen historischen Persönlichkeit. Wir arbeiten für die Erhaltung dieses Namens und dafür, dass die Stadt diesen Namen nicht nur nicht tilgt, sondern sich für ihn einsetzt und ihn verteidigt. Allen, die zur Person Ilja Ehrenburgs und zu den Einzelheiten der Kontroverse um den Straßennamen mehr wissen möchten, geben wir gern Auskunft. Wer unser Anliegen teilt, ist zur Mitarbeit in unserer Initiative herzlich willkommen."


2. Pressemitteilung der Hochschulgruppe Rostock der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), 3.3.2012:

Die DIG-Hochschulgruppe hat mit Unverständnis die Ankündigung von Oberbürgermeister Roland Methling zur Kenntnis genommen, die „seit elf Jahren währende Diskussion um eine Umbenennung der Ilja-Ehrenburg-Straße“ wiederaufzugreifen. Durch diesen Vorstoß müssen sich all jene Kräfte ermutigt fühlen, die in den vergangenen Jahren auf die Tilgung eines der verbliebenen antifaschistischen Erinnerungsorte hinarbeiten. Die Bürgerschaft hatte im letzten Jahr mit der Ablehnung eines entsprechenden NPD-Antrages diesen Bestrebungen vorläufig Einhalt geboten.

Wir verurteilen aufs schärfste die verleumderischen Angriffe auf Ilja Ehrenburg, die – in Übernahme der NS-Propaganda – aus dem jüdischen Antifaschisten einen „Mordhetzer“ machen. Ehrenburgs „Hass-Artikel“ richteten sich nicht gegen „das deutsche Volk“ in seiner Gesamtheit, sondern gegen die Hitlerwehrmacht, als diese die Sowjetunion – wie zuvor eine Reihe anderer europäischer Staaten – mit Krieg überzog. Somit zielt die infame Behauptung, Ehrenburgs Handeln zöge „nach heutigem Recht“ eine „strafrechtliche Verfolgung“ nach sich, unmittelbar darauf ab, jedwede propagandistische Aktivität zugunsten der Anti-Hitler-Koalition zu delegitimieren. In dieser Logik hätte sich auch jeder Franzose, der während der hitlerdeutschen Okkupation die Marseillaise sang, strafwürdig verhalten.

In der Perspektive der deutsch-israelischen Freundschaft sei hier daran erinnert, dass die Ehrung der jüdisch-sowjetischen Veteranen der Roten Armee und namentlich Ilja Ehrenburgs Teil der Gedenkkultur der israelischen Republik ist. Ilja Ehrenburg gebührt das Verdienst, zusammen mit Wassili Grossman das Schwarzbuch über den Genozid an den sowjetischen Juden geschaffen zu haben, eine systematische Dokumentation über die planmäßige Ermordung jüdischer Sowjetbürger durch die Hitlerfaschisten.

Es wird auch unvergessen bleiben, dass Ehrenburg sich Stalin mit großem Mut verweigerte, als dieser die sowjetischen Juden mit einer „antizionistischen“ Kampagne überzog.

Unsere Hochschulgruppe wird sich allen Versuchen einer revanchistisch motivierten Umdeutung des publizistischen Wirkens Ilja Ehrenburgs entgegenstellen. Wir solidarisieren uns mit Bestrebungen wie denen der Initiative Ilja Ehrenburg, solchen Kampagnen durch historische Aufklärungsarbeit argumentativ zu begegnen. Von den zuständigen Körperschaften und Behörden erwarten wir, dass sie auch die erneute Umbenennungskampagne Makulatur werden lassen.

Daniel Leon Schikora

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