samedi 27 décembre 2008

Wie Helmut Schmidt seine ZEIT-Redaktionskollegen mit der UN-Charta vertraut machte


In einem - anläßlich des 90. Geburtstages des zweiten sozialdemokratischen Bundeskanzlers geführten - Gespräch mit der FAZ bedauert Helmut Schmidt, was das Völkerrecht angehe, erlebten wir "im Augenblick nur Rückschritte, nicht nur bei den Amerikanern, sondern auch auf deutscher Seite. Was wir im Kosovo und in Bosnien-Hercegovina gemacht haben, verstieß eindeutig gegen das damals geltende Völkerrecht."

[FAZ:] Wie erklären Sie sich denn diesen Rückschritt des Rechtsbewusstseins in der deutschen Politik? Man hat doch in der Nachkriegszeit gedacht, dass es für die Bundesrepublik mit dem Rechtsstaatsgedanken einen Anschluss an die kantische Tradition gebe, die sehr hohe Rechtfertigungshürden für politisches Handeln aufrichtet.
[Helmut Schmidt:] Die Führungsmacht der Vereinigten Staaten war der Meinung, man könne doch nicht zusehen, wenn auf der Balkanhalbinsel die Völker aufeinanderschlügen. Immerhin waren wir mit den Amerikanern in einem Bündnis, sind es heute noch, und dieses Bündnis hatte sich mindestens bis 1990 wunderbar bewährt. [...] Die Deutschen hatten allen Grund, die Bündnisloyalität zu honorieren. Dass der Eingriff ein Verstoß gegen das Völkerrecht war, ist den Leuten in Berlin nicht klar gewesen. Mir war das schon klar, ich hatte in der 'Zeit'-Redaktion Streit deswegen. Manche Mitglieder dieser Redaktion hätten noch vor fünfzehn Jahren die Grünen gewählt; jetzt waren sie plötzlich Bellizisten und wollten militärisch eingreifen. Und ich habe gesagt: Guckt doch mal in die UN-Charta, da steht das nicht, dass wir das dürfen. Und guckt auch mal in den Zwei-plus-vier-Vertrag. Es gab also keinen Rückschritt des Rechtsbewusstseins - es war ausgeschaltet. Die haben gar nicht gesehen, dass hier ein Rechtsproblem vorlag.

(Zit. nach: FAZ, 22.12.2008)

Daß die rot-grüne Regierung 1999 auch Art. 26 GG brach, wollte Helmut Schmidt, der diesen Umstand gewiß damit erklärt hätte, daß Schröder, Scharping und Fischer es versäumt hatten, einen Blick in den deutschen Verfassungstext zu werfen, den Lesern der FAZ dann freilich doch nicht zumuten (soweit es nicht die FAZ war, die uns eine entsprechende Äußerung Schmidts durch einen redaktionellen Eingriff vorenthielt). Unabhängig davon erscheint es als bemerkenswert, daß Altkanzler Schmidt seinem Amtsnachfolger Gerhard Schröder (wie seinen ZEIT-Redaktionskollegen) bescheinigt, er habe ein - verfassungsrechtlich relevantes - Rechtsproblem nicht als solches wahrgenommen (andernfalls - so wäre hinzuzufügen - Menschenleben hätten gerettet werden können), habe sich also als in einem Verfassungsstaat regierungsunfähig erwiesen.

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